Kunst, Käse und Katharsis

Toskana, ein Haus auf einem Hügel, Juli.

Cipressi säumen den Weg, irgendwo knattert eine Vespa, Olivenöl glänzt golden in der Abendsonne, und der Duft von Rosmarin, frisch gebackenem Pane Toscano und reifem Pecorino liegt in der Luft.

In diesem unwirklich schönen Setting haben sich – ja, du liest richtig – einige der größten Denker der Menschheitsgeschichte zu einem philosophischen Retreat versammelt. Thema der Woche: Kunst und Kunsttherapie.

Aperitivo: Wo beginnt die Kunst?

Monet lehnt sich zurück, streicht sich Brot in Olivenöl.
„Ich versuche nicht, Dinge zu malen. Ich male das, was zwischen mir und ihnen geschieht.“

Platon hebt die Augenbraue.
„Aber das ist doch bloßer Schein. Die Kunst ist eine Nachahmung der Wirklichkeit – und noch dazu eine Nachahmung der Nachahmung.“

Nietzsche schüttelt den Kopf, streicht dabei etwas Pecorino auf sein Brot.
„Platon, du alter Idealist. Kunst ist doch gerade das, was Leben schafft – wo sonst könnten wir uns dem Chaos stellen, ohne daran zu zerbrechen?“

Klee, der eben noch in sein Skizzenbuch zeichnete, murmelt:
„Die Kunst macht sichtbar, was sonst unsichtbar bleibt.“

Jung, leicht sonnenverbrannt und mit einer fast meditativen Ruhe, fügt hinzu:
„Kunst ist der Weg des Selbst, sich auszudrücken. Nicht, um zu gefallen – sondern um zu existieren.“

Primi Piatti: Kunst und das Innere Auge

Freud, beim zweiten Glas Brunello, blickt in die Runde:
„Der Künstler ist ein Mensch, der der Versuchung der Phantasie nachgibt – aber mit Stil.“

Frida Kahlo schaut über ihr Weinglas hinweg, ruhig und direkt:
„Ich male mich selbst, weil ich mich am besten kenne. Meine Bilder sind meine Wirklichkeit.“

Picasso grinst, nimmt eine Feige:
„Wenn ich etwas sehe, sehe ich nicht, was es ist. Ich sehe, was es werden kann.“
Dann:
„Kunst ist die Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt.“

Jung nickt:
„Symbole in der Kunst öffnen Türen zum kollektiven Unbewussten. Dort beginnt jede echte Heilung.“

Dolci & Dunkelheit: Kunst als Therapie?

Kant, nüchtern wie immer, spricht über das „zweckfreie Wohlgefallen“:
„Die wahre Schönheit liegt in der Absichtslosigkeit.“

Freud hebt leicht die Augenbraue:
„Und doch sublimieren wir unsere Triebe – auch in der Kunst. Da steckt sehr wohl ein Zweck dahinter.“

Klee, mit einem Stück Ricotta in der Hand:
„Kunst ist nicht Erbauung. Sie ist ein Akt der Verwandlung. Ich arbeite nicht, um darzustellen, sondern um zu durchdringen.“

Frida, nach einer längeren Pause:
„Ich male den Schmerz, weil ich ihn nicht verstecken kann. Und ich male die Hoffnung, weil ich sie brauche.“

Jung legt seine Gabel hin.
„Wenn die Kunst uns an Orte führt, die der Verstand meidet, dann dient sie nicht der Flucht – sondern der Integration. Das ist Therapie.“

Epilog: Aristoteles erhebt das Wort

Es ist spät. Der Himmel ist samtig schwarz. Das Gespräch ist verklungen, die Gläser leer, das Feuer nur noch Glut.

Aristoteles, der den ganzen Abend eher beobachtet als gesprochen hat, richtet sich auf. Sein Blick ist ruhig, warm, wach. Die anderen drehen sich zu ihm. Selbst Picasso hört auf, am Korken zu schnitzen.

„Ihr habt viel Wahres gesagt.
Und doch, wenn ich eure Worte wie Musik höre, fällt mir wieder ein:

Die Kunst ist nicht nur Nachahmung.
Sie ist das Erkennen des Möglichen im Wirklichen. Sie zeigt nicht bloß, was ist – sondern auch, was sein könnte.“

Er macht eine kurze Pause. Dann:

„Wenn wir Tragödien sehen, werden wir nicht zerstört – wir werden geläutert.
In der Kunst begegnen wir Furcht und Mitleid, nicht um daran zu zerbrechen, sondern um sie zu durchleben.
Das ist Katharsis. Und vielleicht ist das – in euren heutigen Worten – Therapie.“

Er schaut in die Glut.

„Die Seele, so glaube ich, strebt immer nach Form.
Die Kunst hilft ihr dabei.
Nicht, indem sie erklärt – sondern indem sie zeigt.“

Er nimmt einen letzten Schluck Wasser, lächelt.

„Und so ist der Künstler nicht nur ein Nachahmer – sondern ein Lehrer der Möglichkeit.
Er heilt nicht, weil er heilt – sondern weil er erinnert.
An das, was wir sein könnten, wenn wir uns trauen, zu sehen.“

Eine tiefe Stille folgt. Kein Pathos, nur Einklang.

Abschlussgedanken der Autorin

In diesem imaginären Treffen in der toskanischen Sommernacht haben wir erlebt, wie Kunst und Kunsttherapie durch die Stimmen bekannter Persönlichkeiten lebendig werden. Dieses Gespräch war ein fiktives Spiel mit Worten und Ideen, eine Einladung, Kunst nicht nur als Ausdruck, sondern als Weg zu verstehen: einen Weg zur Begegnung mit uns selbst und zur inneren Transformation. So hoffe ich, dass dieser kleine Ausflug inspiriert, selbst die Farben des eigenen Lebens mutig zu mischen und sich von der Kunst berühren zu lassen.

Literatur

  • Platon: Politeia, Buch X, dtv.

  • Aristoteles: Poetik, Reclam.

  • Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, Suhrkamp.

  • Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie, dtv.

  • Sigmund Freud: Der Dichter und das Phantasieren, GW Bd. 8.

  • C. G. Jung: Psychologie und Alchemie, GW Bd. 12.

  • Paul Klee: Schöpferische Konfession, 1920.

  • Frida Kahlo: Tagebuch (Frida Kahlo: The Diary of Frida Kahlo, Abrams).

  • Claude Monet: Briefe (zitiert aus Künstlerbriefen und Biografien).

  • Pablo Picasso: Interview mit Marius de Zayas, 1923

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A Story from an Art Therapist