A Story from an Art Therapist
“Ein Blick zurück, der nach vorne führt“ – Eine Kunsttherapeutin erzählt
Wenn ich Menschen erzähle, dass ich Kunsttherapeutin bin, begegnet mir oft Neugier – und manchmal auch die Frage: Woher kommt das eigentlich? Die Kunsttherapie, so wie wir sie heute kennen, ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Sie ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen, lebendigen Dialogs zwischen ganz unterschiedlichen Disziplinen: Philosophie, Pädagogik, Kunst, sozialen Praktiken und bildender Erfahrung.
Ich denke an Kant, der in seiner Kritik der Urteilskraft die ästhetische Wahrnehmung als Verbindung von Sinnlichkeit und Verstand beschreibt. Oder an Schiller, der die erziehende Kraft der Kunst betonte. Und natürlich an Joseph Beuys, der den Menschen als „kreativen Mitgestalter der Welt“ verstand. All diese Ideen sind in die Kunsttherapie eingeflossen.
Herkunft & Ansätze der künstlerischen Therapien
Ein Überblick über die Wurzeln
Es gibt verschiedene Perspektiven, wie Kunst im begleiteten Prozess wirkt. Jede dieser Richtungen bringt eigene Schwerpunkte mit:
1. Der kunstpsychologische Ansatz
Hier geht es darum, wie ästhetisches Erleben Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Durch die bewusste Auseinandersetzung mit Farbe, Form und Symbol entsteht ein Raum für Selbstreflexion und inneres Erkennen.
2. Der kunstpädagogische Ansatz
Dieser Ansatz versteht Kunst als Bildungsweg. Kreatives Tun fördert Persönlichkeit, Haltung, ethisches Bewusstsein. Lernen passiert durch Erfahrung – nicht durch Belehrung.
3. Der strukturgebende & alltagsorientierte Ansatz
In psychiatrischen und sozialen Einrichtungen wurde künstlerisches Arbeiten früh als Teil von Beschäftigungstherapien eingesetzt – als strukturierendes, ausdrückendes und stabilisierendes Element im Alltag.
4. Der heilpädagogisch-sensorische Ansatz
Besonders in inklusiven oder neurologischen Kontexten steht die Förderung von Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation im Mittelpunkt. Hier wird der Mensch ganzheitlich in seinen Fähigkeiten gestärkt.
5. Der kreativ-gestalterische Ansatz
Inspiriert von Beuys’ Sozialer Plastik sehen wir das kreative Schaffen als eigenständigen Raum für Autonomie, Selbstwirksamkeit und Wandlung – nicht nur als Methode, sondern als Haltung.
6. Der tiefenpsychologische Zugang
Wenn innere Bilder, Träume oder Symbole in der Kunst sichtbar werden, begegnen wir unbewussten Themen. Diese Bilder können Orientierung geben – als Ausdruck innerer Dynamiken.
Psychologische Konzepte nach Judith A. Rubin (1991)
Wie Kunst zum Spiegel innerer Wirklichkeit wird
Als ich das erste Mal Rubins Überblick über kunsttherapeutische Konzepte las, war ich erstaunt, wie viel Tiefe darin liegt. Sie beschreibt drei zentrale Richtungen:
1. Psychodynamische Ansätze
Hier steht die Symbolarbeit im Vordergrund: Freud sah in Kunst ein Sprachrohr des Unbewussten, Jung erkannte darin die Archetypen unseres kollektiven Seins. In meiner Praxis begegnen mir solche inneren Bilder oft ganz von selbst – sie sprechen, bevor Worte da sind.
2. Humanistische Ansätze
Hier geht es um Wachstum, Selbstverantwortung, Verbindung mit dem Hier und Jetzt. Kunst unterstützt Menschen dabei, sich selbst zu spüren, wertzuschätzen und neue Perspektiven zu entwickeln.
3. Verhaltenstherapeutische & entwicklungspsychologische Ansätze
Diese Perspektiven zeigen, wie künstlerische Prozesse helfen können, Emotionen zu regulieren, soziale Fähigkeiten zu stärken oder neue Denk- und Handlungsmuster auszuprobieren. Besonders bei Kindern und Jugendlichen bietet kreatives Tun altersgerechte Wege zur Selbstentfaltung.
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Ich bin dankbar, dass wir Menschen – trotz aller Geschwindigkeit und Komplexität des modernen Lebens – nicht vergessen haben, wie wesentlich kreative Ausdrucksformen für unser inneres Gleichgewicht sind.
In der Kunst können wir uns selbst begegnen, uns spüren, ordnen, verankern. Kreativität ist nicht nur eine Fähigkeit, sondern eine Quelle von Lebendigkeit, Verbundenheit und Selbstwirksamkeit.
Wie gut, dass wir uns erinnern: Durch schöpferisches Tun können wir uns selbst erfahren – und immer wieder neu im Leben verankern.
Literatur
Karl-Heinz Menzen: Grundlagen der Kunsttherapie. 6., überarb. Aufl. München: Ernst Reinhardt Verlag, 2018.
Judith Aron Rubin: Richtungen und Ansätze der Kunsttherapie. Theorie und Praxis. Paderborn: Junfermann, 1991.
Alessandra Gerardi: Kunsttherapie. Grundlagen, Methoden, Anwendung. Stuttgart: Kohlhammer, 2010.